„ Alle für Kultur “ ?
Kulturpolitik im Schatten zweier Türme„… das Verhältnis zwischen Rat und Verwaltung erinnert mich je länger je schlechter an die Elektro-Scooter auf der Kirmes. Es gibt keine Verkehrsregeln, das Fahren macht auch nicht das Vergnügen, der Zusammenstoß ist das eigentlich Schöne der Übung … Wir sind es allerdings auch oft selbst schuld. Wir haben uns eine bürokratische Mentalität und Arbeitsweise aufzwingen lassen, die mit der Zeit Erfindungsreichtum, Phantasie und persönliches Engagement töten … Ich wollte dieser kommunalen Todessehnsucht keinen Tribut zollen … Ich wollte der, Stachel des Rates und nicht sein Wedel‘ sein.
“Als der Kölner Kulturdezernent Kurt Hackenberg nach fast vierundzwanzigjähriger Amtszeit 1979 seine Abschiedsrede vor dem Kölner Rat hielt, hatten sich die Verhältnisse der Kölner Kulturpolitik einschneidend verändert. Mit Hackenbergs Ausscheiden ging eine Ära zu Ende, während der die kriegszerstörten Kölner Kulturinstitute Oper, Schauspiel, Gürzenich, Museen und die Bildungseinrichtungen wiederhergestellt sowie die Planungen des Museums Ludwig und der Kölner Philharmonie auf den Weg gebracht worden sind.
Anlässlich des Erscheinens der Buchdokumentation von Birgit Kilp Alle für Kultur – Die Ära Kurt Hackenberg in Köln 1955 – 1979 (Köln: Wienand 2009) traf sich unter demselben Motto im Kinosaal des Museums Ludwig eine Podiumsrunde zur Kölner Kulturpolitik von Hackenberg bis heute. Moderiert von Jürgen Keimer schilderte zu Beginn der langjährige Intendant der Kölner Opern Michael Hampe, wie er seinerzeit von Hackenberg gleichsam handstreichartig angeworben und ohne jede Diskussion im Kölner Rat durchgesetzt worden war. Die goldenen Zeiten, da das „Wirtschaftswunder“ der Stadt einen vollen Geldsäckel bescherte und Hackenberg wichtige Entscheidungen mehr oder minder im Alleingang treffen konnte, sind längst passé. Damals wurde das Handeln des Dezernenten vom SPD Fraktionsvorsitzenden John van Nes Ziegler maßgeblich gestützt, der als Vorsitzender des Kulturausschusses die Kultur zur Chefsache gemacht und die absolute Mehrheit seiner Partei im Rat hinter sich hatte. Heute sind die Machtverhältnisse komplizierter und die finanziellen Möglichkeiten völlig andere. So landeten die Erinnerungen an selige Zeiten schnell bei den harten Zahlen einer misslichen Gegenwart mit noch trüberen Aussichten.
Der gegenwärtige Kulturdezernent Georg Quander berichtete, dass der Kulturetat zu Zeiten Hackenbergs 6,7 Prozent des Gesamthaushalts der Stadt betragen habe, bis zum Jahr seines eigenen Amtsantritts 2005 aber auf 3,1 Prozent geschrumpft sei. Mit der Erhöhung auf knapp 4 Prozent habe die Stadt 2007 die Kehrtwende geschafft, der jedoch weitere Erhöhungen folgen müssten, wie es der im Juni vom Rat beschlossene „Kulturentwicklungsplan“ vorsehe. Während strukturell vergleichbare deutsche Städte wie Frankfurt oder Leipzig pro Einwohner etwa 200 Euro ausgäben, seien es in Köln gegenwärtig nur 132 Euro. Der am 20. Oktober ins Amt tretende designierte Oberbürgermeister Jürgen Roters stellte die Rechnung auf, dass die Stadt bei einem Gesamtetat von 3,1 Milliarden Euro lediglich über einen Gestaltungsraum von 200 Millionen an freien Mitteln verfüge, dem durch die wegen der Wirtschaftskrise weg brechende Gewerbesteuer 2010 ein prognostiziertes Defizit von 560 Millionen Euro entgegenstehen werde.
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Der allgemeine Aufschrei, der sich im Kölner Kommunalwahlkampf angesichts des Szenarios einer dreißigprozentigen Kürzung des Kulturetats erhoben habe, habe ihn nachdenklich gestimmt und gezeigt, wie sehr das Herz der Kölnerinnen und Kölner für die Kölner Kultur schlage. Auch auf die große Freie Szene dürfe die Stadt stolz sein, für die Hackenberg – so Gerhart Baums kritischer Einwurf – ebenso wenig Sensibilität gehabt habe wie für die zeitgenössische Musik, was heute glücklicherweise anders sei. Um durch Streichungen nichts zu gefährden, sieht Roters vor allem das Land NRW in der Pflicht. Gerade die Großstädte benötigten dringend mehr Landesmittel, da sie die wichtigsten Zukunftsaufgaben der Gesellschaft zu bewältigen hätten: Umwelt- und Klimaschutz, demographischer Wandel, Migration, Bildung und Kultur.
Auch Baum – zu Hackenbergs Zeiten vier Jahre als FDP-Fraktionsvorsitzender im Kulturausschuss – forderte eine neue Finanzordnung zwischen Kommunen, Ländern und Bund und mahnte den finanziellen Rückhalt an, den die städtischen Institutionen und die Freie Szene unbedingt bräuchten. Die mit dem leicht erhöhten Kulturetat gesetzten neuen Impulse dürften jetzt nicht gefährdet werden, sondern müssten durch die Krise gerettet werden. Applaus erhielt Baum für seine Überlegung, ob man aus den freiwilligen Leistungen der Städte und Bundesländer im Bereich der Kultur nicht verbindliche Leistungen machen müsse. Hampe plädierte dafür, nicht nur über Sparzwänge zu sprechen, sondern bestehende Strukturen der veränderten Gegenwart anzupassen, indem beispielsweise die Opern von Bonn und Köln fusionierten, was er schon zu seiner Amtszeit vorgeschlagen habe, um bessere Aufführungen bei gleichzeitig geringerem Finanzbedarf zu ermöglichen. Quander ergänzte, dass die städtischen Einrichtungen auch inhaltlich auf die grundlegenden Veränderungen der Gesellschaft und Lebensstile reagieren müssten. Nicht nur die siebenundvierzig Prozent der Kölner Grundschüler mit Migrationshintergrund fänden oft keinen Zugang zu den Kultureinrichtungen, auch die andere Hälfte wachse heute zumeist kulturfern auf. Derzeit werde ein Plan entwickelt, wie sich die unübersichtlich vielen Bildungsangebote sinnvoll vernetzen lassen.
Wenig in die Diskussion eingebunden blieb Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Mit dem als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichneten Kölner Dom vertritt sie zwar die Hauptsehenswürdigkeit der „Domstadt“, für die sie sich an Stelle des „Sportplatzes davor“ ein „künstlerischeres Umfeld“ wünscht. Aber letztlich steht der riesige Solitär über allen kulturpolitischen Miseren monolithisch für sich selbst. Vielleicht vermag das Wahrzeichen der Stadt gerade deswegen in schwierigen Zeiten zu mahnen: „Mir losse de Kultur im Kölle, denn da jehört se hin.“
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