Eine Stele für Mauricio Kagel
Er kam 1957 mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts nach Köln, um im Studio für elektronische Musik des WDR zu arbeiten. Geblieben ist er sein Leben lang. Während fünfzig Jahren schuf er in Köln ein ebenso umfangreiches wie vielfältiges Œuvre mit mehr als zweihundert Titeln, darunter allein dreißig Bühnenwerke, zwanzig Filme, zahlreiche Hörspiele, mehrere Textbände und viele selbst gebaute Instrumente. Etliche seiner Uraufführungen fanden in Köln mit hiesigen Musikern statt, was zum weltweiten Ruf der Stadt als Metropole der neuen Musik beitrug.
Während andere pedantisch auf die Reinhaltung ihres angestammten Metiers achteten, erweiterte Mauricio Kagel – an Heiligabend 1931 in Buenos Aires geboren – frühzeitig seinen künstlerischen Horizont durch konsequente Umsetzung seiner Auffassung von Musik als sowohl hör- wie sichtbarer Darstellungskunst. Musik war für den leidenschaftlichen Theatromanen Aktion und Handlungen verwandelte er in klingende Ereignisse. 1969 übernahm er von Stockhausen die Leitung der Kölner Kurse für Neue Musik an der Rheinischen Musikschule, wo er Veranstaltungen zu angewandter Musik einführte: „Musik und Bild“, „Musik als Hörspiel“, „Kinderinstrumente“, „Musiktherapie“, „Musikanalyse“, „Außereuropäische Musik“. Im letzten Kursjahr 1975 versah er sein Seminar mit dem skeptisch fragenden Titel „Politische Musik?“. Von 1974 bis 1997 unterrichtete er an der Kölner Hochschule für Musik im Rahmen einer eigens auf sein Profil zugeschnittenen Professur für Neues Musiktheater, deren Wiederbesetzung er – der sich unersetzbar wusste – leichtfertig vereitelte.
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Immerhin waren viele Schülerinnen und Schüler seinetwegen nach Köln gekommen, um fortan hier ihren Lebensmittelpunkt zu finden: Maria de Alvear, Carola Bauckholt, Johannes S. Sistermanns, Manos Tsangaris, Thomas Witzmann und andere.
Nachdem Kagel 1986 die Eröffnungsrede zur Einweihung der Kölner Philharmonie gehalten hatte, lud ihn Intendant Franz Xaver Ohnesorg jede Spielzeit zu einem eigenen Kagelabend. Zur Eröffnung der neuen KGNM-Veranstaltungreihe „tonspuren – neue Musik und Film“ führte Kagel 2004 im Kino des Museum Ludwig in seine Filme ein. Insgesamt aber wurde es in Köln stiller um ihn. Die Uraufführungen seiner letzten Werke fanden in Düsseldorf, Bonn und anderswo statt, ohne dass sich einstige Mitmusiker und Schüler noch dafür interessierten. Statt wie in seinem „instrumentalen Theater“ der 1960er und 70er Jahre, als er in jedem Stück auf neue Weise die eigentümlichen Rituale der Produktion und Rezeption von Musik spielerisch unter die Lupe nahm, neigte er seit den 1980er Jahren immer stärker zur Komposition gewöhnlicher Konzertsaalmusik, welche die humorvolle Selbstironie, bissige Analytik und kritische Distanz seiner früheren Arbeiten zu traditionellen Gattungen und Techniken vermissen ließ. Am 18. September erlag Kagel einer längeren Leukämie-Erkrankung. Nach Stockhausen verliert mit ihm die Musikstadt Köln einen weiteren ihrer weltweit klangvollsten Namen.
Rainer Nonnenmann
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