Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Steve Reich im Gespräch über Kunst und Musik
mit Rainer Nonnenmann
Der Pionier der Minimal Music ist einer der bekanntesten und beliebtesten zeitgenössischen Komponisten, für viele ist er regelrecht Pop. Nach regelmäßigen Aufenthalten in der BRD während der 1970er Jahre, darunter häufig im WDR Köln, gastierte Steve Reich im Januar erneut in Köln. Gelegentlich äußerte der New Yorker, es sei für ihn leichter, nach Köln zu gehen als nach Kalifornien. Hier wurden mehrere seiner Werke uraufgeführt: 1981 seine erste textbasierte Komposition „Tehillim“ für Stimmen und Ensemble, 1984 die Instrumentalfassung von „The Desert Music“ für Chor und Orchester und 2006 in einem Konzert anlässlich seines 70. Geburtstags die „Variations“ für Vibraphone, Klaviere and Streicher.
Bei seinem jüngsten Gastspiel sollte Reich den ersten Teil seines vierteiligen Schlagzeugzyklus „Drumming“ von 1970/71 zusammen mit drei Musikern des Ensembles Modern im Rahmen der Ausstellung „Gerhard Richter – Abstrakte Bilder“ des Kölner Museum Ludwig spielen. Wegen großen Publikumszuspruchs fand das Konzert jedoch im Museumsfoyer statt, so dass die geplante Gegenüberstellung seiner Musik mit Richters Bildern nicht zustande kam. Das erwies sich jedoch nicht als Nachteil, denn mit Richters abstrakten Spachtelbildern aus den 1980er Jahren hat Reichs repetitive Minimal Music wenig gemein. Die Aufführung seines Trommelstücks, bei denen die Schlagzeuger auf vier Bongo-Paaren paarweise Rhythmen vorgeben, welche die anderen beiden dann nach Gehör aufgreifen, zeigte den inzwischen 72jährigen im Vollbesitz seiner 1970 bei einem Aufenthalt im westafrikanischen Ghana gelernten Trommeltechniken. Reich ist sichtlich jung geblieben, gelenkig, locker, sportiv, und natürlich agiert er – wie es sich für einen Amerikaner gehört – mit größter Coolness, nicht nur weil ihm die obligatorische Baseball-Kappe nicht vom Kopfe weicht.
Anschließend brachte er an einem der vier Klaviere mit dem Ensemble Modern und den vier Sängerinnen der Synergy Vocals aus London seine „Music for 18 Musicians“ von 1974–1976 in der Philharmonie zur Aufführung. Das frühe Hauptwerk des Minimalismus funktioniert wie ein Steckspiel. Eine Stimme nach der anderen setzt mit einem einzelnen Ton ein, den sie nach kurzer Pause wiederholt und irgendwann durch einen zweiten Ton ergänzt, dann durch einen dritten, vierten, fünften etc., so dass die Pausen schrittweise mit Tönen gefüllt werden. So entstehen Rhythmus- und Melodiefolgen, die nicht nur immer länger und dichter werden, sondern mit jedem neu hinzutretenden Ton zu einem komplett anderen inneren Gefüge an Akzenten, Rhythmen, Bezugspunkten und Phrasen führen. Durch Repetition verflechten sich die Patterns dann zu permanent sich wandelnden Webmustern, die dem Hörer die Möglichkeit bieten, sowohl auf der Ebene der Details als auch auf der Ebene des flirrenden Gesamtklangs in Reichs Musik einzusteigen. Diese verschiedenen Zugangsweisen sind vermutlich ein Grund für Reichs weltweite Popularität. Seine Musik hat etwas Mechanistisches und ist doch zugleich von einer direkt sich mitteilenden Körperlichkeit und archaischen Kraft, welche die Ursprünge der Musik aus Rhythmus und Tanz erahnen lässt und schon von den Hippies und Blumenkindern der Siebziger Jahre als psychedelisches Stimulans geschätzt wurde.
Fünf Tage vor den Kölner Konzerten fand das folgende Telefonat statt.
Mister Reich, Sie waren häufig in Köln und kennen vermutlich nicht nur von da her die hiesige Tradition der neuen Musik um Bernd Alois Zimmermann, Karlheinz Stockhausen und Mauricio Kagel. Ihre eigene Musik klingt völlig anders, aber vielleicht gibt es dennoch Verbindungen?
Steve Reich: Mit Stockhausens Serialismus habe ich bestimmt nichts zu tun. Aber sein Vokalquintett „Stimmung“ ist stark von La Monte Young beeinflusst. Als ich während der 1950er Jahre an der Juilliard School of Music in New York studierte, war ich – wie jeder damals und so auch die Kölner Komponisten – sehr an Anton Webern interessiert, besonders an seinen „Orchestervariationen“ und seinem ständigen Gebrauch von großen Septimen und kleinen Terzen, die immer wieder wiederholt werden, so dass eine konstante Harmonik entsteht. Diese Musik ist von meiner natürlich völlig verschieden. Aber das Denken ist doch irgendwie ähnlich, auch die öffnende Wirkung, die von Weberns Schaffen ausging, der gezeigt hat: „anything is possible“. Sonst kommt meine Musik viel mehr von Igor Strawinsky und Béla Bartók, auch von John Coltrane, afrikanischer und balinesischer Musik.
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Ihre frühen Bandschleifen-Kompositionen „It´s gonna Rain“ und „Come out“, mit denen Sie 1965 einen maßgeblichen Beitrag zur Entstehung der Minimal Music leisteten, liegen mehr als 40 Jahre zurück. Wie hat sich seitdem Ihr Schaffen entwickelt?
Der Grad an Veränderung wurde in meiner Musik viel schneller. „Drumming“ dauert fast eineinhalb Stunden und die Partitur umfasst nur dreißig Seiten, was nur deswegen möglich ist, weil es darin sehr viele Wiederholungen gibt. „Music for 18 Musicians“ ist nur ein bisschen kürzer und umfasst doch etwa dreihundert Seiten. Wie geht das? Weil es hier eben sehr viele Veränderungen gibt. Der Grad des harmonischen und melodischen Wechsels ist viel höher. Und wenn man in die Partituren meiner Werke der letzten zwanzig Jahre schaut, dann gibt es da überhaupt keine Wiederholungen im klassischen Sinne mehr. Ich verwende stärker Chromatik und die Orchestration wurde reicher. Dabei benutze ich keine beziehungsweise kaum Blechbläser, dafür aber Holzbläser, Singstimmen, Streicher, Tasteninstrumente und alle Arten von Schlaginstrumenten mit oder ohne bestimmte Tonhöhe.
Eines der Kölner Konzerte wird im Museum Ludwig stattfinden im Rahmen der dort gezeigten Ausstellung „Gerhard Richter – Abstrakte Bilder“. Kennen Sie den seit 1983 in Köln lebenden Künstler und seine Arbeiten? Erwarten Sie, dass es für das Publikum eine Interaktion zwischen seinen Bildern und Ihrer Musik geben wird?
Ich habe Reproduktionen seiner Werke gesehen und hier in New York auch einige Originale. Aber ich kenne ihn nicht wirklich und habe nie eine ganze Ausstellung von ihm gesehen. Ich war sehr eng befreundet mit Sol Le Witt, bevor er starb, und ich bin immer noch ein guter Freund des Bildhauers Richard Serra, und ich habe Anselm Kiefer kennen gelernt. Aber Gerhard Richter habe ich nie getroffen. Die Schönheit, sagt Shakespeare, liegt im Auge des Betrachters. Will sagen: ich weiß nicht, wie Musik und Bilder auf das Publikum wirken werden. Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Ich selbst werde mit den anderen Musikern während der Aufführung ohnehin nicht auf die Bilder sehen können. Aber als ich viel jünger war, haben wir die meisten unserer Konzerte in Kunstmuseen und Galerien gegeben. Anfang der 1970er Jahre spielten wir unser erstes Konzert im Rheinland in der Düsseldorfer Kunsthalle. Oder wir spielten bei der Mark Rothko-Ausstellung in London, ich glaube 1972. Die Uraufführung von „Drumming“ spielten wir im Museum of Modern Art in New York 1971. Wir spielten auch im Guggenheim-Museum, im Whitney-Museum und in vielen Museen in Europa. Und zwar deshalb, weil viele meiner Freunde Maler und Bildhauer waren, die da ausgestellt wurden. Natürlich spielten wir auch in Konzerthäusern und Rundfunksendern, aber es blieb für uns immer interessant, wieder in die Umgebung von Kunst zurückzukehren.
Haben die von Ihnen genannten Künstler Einfluss auf Ihr Komponieren gehabt?
Nein. Ich denke es handelt sich einfach darum, dass Leute, die zur gleichen Zeit am selben Ort leben, mit ihrer Vorstellungskraft und ihren Antennen, ihren Augen und Ohren, auch dieselben Botschaften empfangen. Auf diese Weise sind ihre Arbeiten ganz natürlich miteinander verbunden, denn sie sind sich bewusst, was gerade im Moment passiert. So war nicht-westliche Musik in Amerika etwas ganz Neues, als wir sie in den 1970er Jahren erstmals hörten, Musik aus Indonesien, Afrika, Indien. Und verschiedene Künstler haben darauf reagiert. Genauso war es mit den impressionistischen Malern und Musikern, etwa mit Monet und Debussy, die zur selben Zeit auftraten. Ich glaube nicht, dass sie bewusst voneinander beeinflusst wurden, aber sie arbeiteten in derselben Umgebung und derselben historischen Epoche, und deswegen gibt es Beziehungen zwischen ihren Werken. Das finden wir durch die ganze Geschichte hindurch.
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